Das Gehirn bleibt formbar – ein Leben lang. Forscher nennen die Fähigkeit des Gehirns, sich bis ins hohe Alter zu verändern „Plastizität“. Mehrere Studien, die auch im Vortrag des Hirnforschers Lutz Jäncke im Rahmen Wiener Gesundheitsförderungskonferenz der Wiener Gesundheitsförderung – WiG im September 2025 in Wien zitiert wurden, beweisen eindrucksvoll, wie das in der Praxis aussieht – im Fokus waren dabei jeweils ältere Menschen. Wir haben uns einige dieser Studien angesehen.
Nordic Walking für das Gehirn
In den USA untersuchte ein Team der University of Pittsburgh und der University of Illinois im Rahmen einer Studie ein Jahr lang zwei Gruppen älterer Erwachsener. Eine Gruppe praktizierte dreimal pro Woche zügiges Ausdauer-Gehen, vor allem Nordic Walking. Es wurde dabei auf ein moderates Ausmaß von Anstrengung gesetzt. Das bedeutet, dass die Teilnehmer*innen leicht außer Atem waren, sich aber noch unterhalten konnten. Personen mit einem Programm aus Dehnungsübungen und leichtem Kräftigen ohne Ausdaueranteil bildeten die Kontrollgruppe. Am Beginn und am Ende der Studie wurden MRT-Aufnahmen vom Gehirn und Gedächtnistests mit den Teilnehmer*innen gemacht. Besonders beachtet wurde der Hippocampus – eine Region unseres Gehirns, die unter anderem für das Merken von Informationen und das Orientieren wichtig ist. Es handelt sich dabei um eine Gehirnregion, die im Alter normalerweise kleiner wird. Das Ergebnis war beeindruckend klar: Nach einem Jahr zeigte die Walking-Gruppe etwa 2 Prozent mehr Volumen im vorderen Hippocampus als zu Beginn der Studie. Auch die Gedächtnisleistungen verbesserten sich. In Blutproben stieg zudem das Protein BDNF, das eine wichtige Rolle für die Funktion, das Überleben und das Wachstum von Nervenzellen spielt. In der Kontrollgruppe verkleinerte sich der Hippocampus während des Beobachtungszeitraums.
Musizieren: Vielseitiger Reiz für „jüngeres“ Hirnprofil
Eine weitere spannende Studie beschäftigt sich mit dem Einfluss des Musizierens auf das Hirnalter. Eine deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe vom Beth Israel Deaconess Medical Center/Harvard Medical School, der RWTH Aachen und dem Universitätsklinikum Jena verglich in einer gemeinsamen Studie zur Auswirkung von Musizieren auf die Hirnstruktur Nicht-Musiker, Amateur- und Profimusiker. Alle Teilnehmer*innen bekamen eingangs eine MRT-Untersuchung. Aus den Bildern wurde ein „Hirnalter“ berechnet: Dieses kann anhand typischer Hirnstrukturen festgestellt werden. Das Hirnalter muss nicht mit dem biologischen Alter des jeweiligen Menschen übereinstimmen. Das Verfahren schätzt ein, wie alt ein Gehirn vom Aussehen und seiner Struktur her wirkt. Liegt dieses geschätzte Alter unter dem tatsächlichen Lebensalter, sieht das Gehirn „jünger“ aus, als der Mensch tatsächlich ist. Genau das fanden die Forschenden bei Musizierenden. Besonders ausgeprägt war das bei Hobby-Musiker*innen, die sehr regelmäßig üben. Bei Profis war das Bild gemischter – vielleicht, weil Leistungsdruck oder sehr einseitiges Üben den Vorteil, den das Musizieren für das Hirnalter bringt, wieder mindern. Auch wenn die Studie keinen klaren Beweis für Ursache und Wirkung zeigt, ist das Bild stimmig: Musik fordert Hören, Bewegung, Aufmerksamkeit, Gefühl und Gedächtnis gleichzeitig. Sie bietet also genau das vielfältige Training, das unser Gehirn anpassungsfähig hält.
Hobbys für geistige Reserven
Über einen längeren Zeitraum ging eine Studie in New York (USA). Bei der sogenannten Einstein Aging Study am Albert Einstein College of Medicine wurden Menschen ab 75 Jahren über mehrere Jahre begleitet. Zu Beginn gaben die Teilnehmenden an, wie oft sie lesen, Brett- oder Kartenspiele spielen, ein Instrument nutzen, tanzen oder sich im Verein engagieren. Dann wurde beobachtet, wer später eine Demenz oder eine amnestische milde kognitive Störung (aMCI) entwickelte. Dabei handelt es sich um eine leichte Gedächtnisstörung, bei der vor allem das Merken neuer Informationen beeinträchtigt ist – stärker, als man es fürs normale Altern erwarten würde –, aber ohne dass der Alltag und die Selbstständigkeit deutlich eingeschränkt sind. Das Ergebnis war gut nachvollziehbar: Je häufiger geistig-soziale Aktivitäten ausgeübt wurden, desto weniger Personen entwickelten die genannten Störungen. Schon bei Menschen, die einige Tage pro Woche Hobbys ausübten, die das Gehirn, den Körper oder die Koordination fordern, waren spürbar weniger Demenzfälle zu beobachten. Bei aMCI war das Risiko in der aktivsten Gruppe in etwa halbiert. Das Studienergebnis könnte darauf hinweisen, dass die stetige Forderung des Gehirns eine Art geistige Reserve aufbaut. Diese könnte unsere Alltagsfähigkeiten länger stabil halten.
Fazit: Wer rastet, der rostet
Dass das auch für unser Gehirn gilt, zeigen die Ergebnisse dieser internationalen Studien sehr deutlich. Wer körperlich aktiv ist und dazu mehrere „Portionen“ geistiger und sozialer Aktivität über die Woche verteilt, hält das Gehirn nicht nur fit, sondern unterstützt es sogar dabei, neue Verbindungen aufzubauen – und so die Voraussetzung zu schaffen, dass es bis ins hohe Alter fit und aktiv bleibt.